Monday, December 25, 2006

Grußkartenterror

Weihnachten ist das Fest der Liebe, und Liebe muss man großzügig verteilen, damit möglichst viel davon zurück kommt. Das geschieht in der Generation unserer Eltern und Großeltern ganz traditionell per Grußkarte – handgeschrieben, im Idealfall. Es ist ein Phänomen: Man schickt sie nämlich nicht nur an Leute, die man mag, was ja vollkommen in Ordnung wäre. Man schickt sie auch an Leute, von denen man glaubt, sie würden es erwarten. Es ist eine Art gesellschaftliche Pflicht, man will sich ja nicht unbeliebt machen. Also grüßt man neben den drei besten Freunden und der Oma auch Tante Trude aus dem Westerwald, die man gar nicht leiden kann, den Großcousin, den man seit der Jahrtausendwende nicht gesehen hat, und den Vermieter, damit er einmal öfter verzeiht, dass keiner das Treppenhaus fegt.


Im U-30-Alter sind Grußkarten zum Glück absolut out. Doch kein Grund zur Erleichterung: Es gibt ja SMS. Ich bekam gestern ein paar davon: Geistreiche, mäßig interessante und unkreative; persönliche, persönlich wirkende und Massen-SMS. Alles Indikatoren der eigenen Stellung im sozialen Netz? Nicht, dass ich mich nicht gefreut hätte – aber ist das jetzt Höflichkeit, Zwang, oder wirklich ein ernst gemeinter, netter Gruß? Was ist mit den Leuten, die mir nicht schreiben, was zweifellos die Mehrzahl ist? Ist irgendwer angepisst, wenn ich mich nicht melde? Interessiert mich das alles überhaupt?


Meine Schwester hat ihr eigenes System. Sie verschickt wenige persönlich formulierte und viele Massen-SMS. Ich hab übrigens keine bekommen, fällt mir gerade auf, aber okay, ich hielt mich auch im selben Raum auf. Egal: Sie notierte sich, wer geantwortet hat. Begründung: „Die anderen bekommen beim nächsten Mal keine.“ So kann man es auch machen, aber andererseits: Lächerlich, Bekannte zu Freunden zu befördern und Freunde zu Bekannten zu degradieren, nur weil sie eine SMS tippen oder eben nicht. Ich hab niemandem geschrieben, ich habe nur geantwortet, falls jemand so tickt wie meine Schwester. SMS von mir gibt’s erst an Sylvester – falls mir danach ist.

1 comment:

Susi said...

Mit Hassliebe haben Sie gar nicht mal so unrecht, Frau Lantzsch. Und man kommt ja auch schwer drum rum, nicht wahr?

Mein Schwesterherz ist 17.