Sunday, December 31, 2006

Die Geschichte mit dem BH

Des Rätsels Lösung oder: Wie das passieren konnte.


Es begann in meiner damaligen Lieblingsdisco, dem CULT in Neukirchen. „Damalig“ aber nicht aufgrund dieser Geschichte, sondern aufgrund eines sich wandelnden Musikgeschmacks und einer zunehmenden Leere dieser Discothek. Doch das tut jetzt nichts zur Sache, meine Freunde und ich waren vermutlich wegen Sven Väth da, dem absoluten Gott der Techno-Szene, der in längst vergangenen Zeiten hin und wieder im CULT die Platten drehte. Da sich der Mainfloor im ersten Stock befand, musste man wohl oder übel zuerst den House-Floor durchqueren, was genügend Gäste zum bleiben und zum Genuss des ersten Bieres bewog, anstatt gleich ach oben zu gehen. So auch wir, denn bis Sven endlich auflegen sollte, hatten wir noch ein Stündchen tot zu schlagen.


Diese Fernsehchickse muss das gerochen haben, denn sie sprach mich an, bevor ich überhaupt einen Kameramann entdecken konnte, geschweige denn einen Kabelträger. MTV-Sendung... Gewinnspiel... Geld... soviel kam bei mir an. Geld? Ich bin dabei. Folgendermaßen sollte es ablaufen: Am Anfang der Sendung wird von beiden Seiten ein Einsatz festgelegt. Mir werden drei Fragen gestellt. Antworte ich falsch, hab ich immerhin zwei Joker, was sich praktisch so gestaltet, dass ich aus drei Steckdosen eine auswählen muss. An dieser wird im folgenden eine Säge, ein Tacker oder ein ähnliches Kaputtmachgerät angestöpselt und, falls es die falsche war, auch erfolgreich in Betrieb genommen. Überstehe ich die drei Fragen, bekomme ich die ausgehandelte Kohle, antworte ich falsch und wähle dann auch noch die falsche Dose, bin ich den Einsatz los. Soweit, so gut, das klingt nicht sonderlich gefährlich.


Den Gewinn handelte ich auf 180 Euro hoch – muss sich ja lohnen, schließlich dürft ihr meine Visage filmen. Mein Einsatz sollte ein Autoreifen sein, aber lass mal, wir sind zu fünft und kommen von etwas weiter weg. Ob wir uns auf meinen BH einigen können? Klar – der schien mir das Geld wert zu sein. Da ich schon damals ein ziemlicher Fernsehmuffel war – erst recht, was MTV angeht – sagte mir die Sendung rein gar nichts. Auch den Moderator, der wohl ziemlich bekannt sein musste, hatte ich noch nie zuvor gesehen. Und das solche Fragen auf mich zukommen würden, tja, davon hatte ich am wenigsten Plan: „Wer ist in der letzten Sendung von 'Deutschland sucht den Superstar' ausgeschieden?“


Fuck. Leute, ich hab Abitur, aber keinen Fernseher. Woher soll ich das wissen? Da musste schon der erste Joker ran. Mein BH war längst auf dem mit „Loser“ beschrifteten Holzbrett drapiert worden. Mittlere Steckdose, bitte. Tacker ansetzen... Und scheiße, er funktioniert. Noch etwas Farbe zur Deko – dann durfte ich das Andenken mit nach Hause nehmen. Ob diese peinliche Aktion jemals gesendet wurde, weiß ich nicht – schließlich hab ich keinen Fernseher.

Friday, December 29, 2006

Fremde Federn

„Meine Freundin Bine ist ja jetzt in Australien“, höre ich mich hin und wieder sagen. Eigentlich sag ich das immer, wenn das Gespräch auf Down Under im speziellen oder große Reisen im allgemeinen kommt. Dieser Satz klingt auch viel besser, als zuzugeben: „Ich war noch nie auf der Südhalbkugel, redet mal ohne mich weiter, ich hab zu dem Thema nichts beizutragen.“ Ich schiebe also Sabine vor und täusche damit darüber hinweg, dass ich selbst Europa noch nie verlassen habe und sich meine Auslandserfahrung vorerst auf die klassischen Urlaubsländer im Südwesten unseres Kontinents erstreckt. Okay, zwei Inseln waren auch dabei, und es waren nicht Mallorca und Ibiza. Das ist doch schon mal was. Bravo.


Nun ist es aber nicht das Thema Ausland an sich, was mich wurmt. Diesem Manko könnte ich ja einfach mit einer Reise nach Argentinien oder Kapstadt entgegenwirken. Wenn das Geld fehlt, könnte ich vielleicht auch eine erfinden. Nein, was ich vielmehr unterstellen will, ist: Wir alle schmücken uns mit fremden Federn. Denn: Wer viele Leute kennt, ist cool. Wer interessante Leute kennt, noch cooler. Und je enger die Freundschaft, desto besser: „Ich kenn da jemanden, der auch gerade in Australien ist“ klingt einfach scheiße. Deshalb ist es die beste Freundin, notfalls auch ein guter Kumpel, und im Idealfall der feste Freund.


Mit dem lässt es sich sowieso am besten angeben, das weiß ich spätestens seit der zehnten Klasse. Schon damals streute ich gern, wie mobil ich sei, da mein Freund ja ein Auto hat. Oder dass er morgen seinen 20. Geburtstag feiert. Oder längst studiert. Dass die Wortkonstruktion „mein Freund“ variabel anwendbar ist, stört ja niemanden. Problematischer wird diese Geschichte für Singles. „Mein Freund“ ist vielleicht variabel, aber dennoch nur im Falle von Monogamie anwendbar – so engstirnig und definitionsbesessen sind wir halt noch. Das wurmt die Singlefrau, die interessante Männer kennenlernt, aber nicht damit prahlen kann. Wie gesagt: „Ein Bekannter von mir...“ hört sich scheiße an. Über Affären spricht man nicht. „Fickbeziehung“ ist respektlos. Und jede andere Umschreibung zu erklärungsintensiv.


Die Lösung brachte mir der Zufall: Am Sonntag chauffierte ich einen netten Jura-Studenten von Bremen nach Leipzig, der mir folgende Wortschöpfung vor die Füße legte: Hauptfreund. Frei verwendbar für jede denkbare Art der offenen Beziehung, für alles zwischen bestem Freund und festem Freund. Außerdem großartig monogamiefeindlich, denn ein Hauptfreund impliziert Nebenfreunde. Wundert euch also nicht, wenn ich wieder mit protzen anfange. Schließlich spricht mein Nebenfreund fließend Spanisch. Und mein Hauptfreund ist Tennisprofi.

2007!

Während Denise einen rührenden Rückblick auf das letzte Jahr schreibt, setz' ich vorsichtshalber Scheuklappen auf – bevor ich noch sentimental werde – und schau stur nach vorn. 2007! Vorgestern (ups, das ist jetzt doch ein Rückblick) bekam ich einen Brief. Absender: Berliner Zeitung. Inhalt: Zusage Praktikum. Zeitraum: 5. März bis 13. April. Ort: Lokalredaktion, mitten in Berlin, direkt am Alex.


Ich spielte kurz mit dem Gedanken, vor Freude quiekend aus dem Fenster zu springen, da das die einzige Fluchtmöglichkeit schien; dachte mir dann aber, nein, im Rollstuhl kommst du nicht in den 14. Stock. Dort befindet sich nämlich die Redaktion.


Nach zwei mindestens mittelstressigen Monaten zu Beginn des neuen Jahres – also stressiger als alles, was ich seit September gemacht habe – werde ich deshalb im März Mittweida den Rücken kehren. Denn nach dem Praktikum in Berlin verschlägt es mich ja von Mai bis Juli hierhin. Cityhopping fürs Zonenkind, so lieb' ich das.


Mein wunderschönes Heim werd ich deshalb leider veräußern müssen. Detailinfos für alle Interessierten finden sich hier. Und wer Kontakte nach Berlin oder Budapest hat: Ich such' noch ne Bleibe.


Auf ein großartiges Jahr 2007!

Wednesday, December 27, 2006

Fundstück II

Die Plackerei hat sich gelohnt. Habe heute schätzungsweise zehn Stunden lang Möbel gerückt, Schränke aus- und wieder eingeräumt, kiloweise Müll respektive veraltetes Hab und Gut weggeworfen, meinem Vater beim Löcher bohren zugeschaut assistiert. Jetzt hab ich mehr Platz in meinem alten Zimmer und fühl mich wieder wohl, ich meine, hin und wieder muss ich hier ja noch ein paar Tage verbringen, nicht wahr. Jetzt, beim Feinschliff, also beim ausräumen einiger Kästen, die ich anscheinend seit Jahren nicht geöffnet habe, die Überraschung, der Lohn, das i-Tüpfelchen. Trommelwirbel! Ich habe Geld gefunden. Sieben Euro achtundachzig. In einer kleinen Papiertüte. Hauptsächlich italienische Münzen, ein paar französische und eine, die ich nicht deuten kann. Scheint, als wollte ich mal eine Münzsammlung aufmachen. Ist mir aber mittlerweile scheißegal. Meine Möbel zahlen nämlich keine Zinsen. Statt dessen gibt’s morgen nen Extra-Cocktail.


Apropos: Lasst euch deshalb nicht von Fundstück Nummer Eins ablenken, das übrigens auch bei dieser Umräumaktion wieder ans Tageslicht kam. Ich will ein paar Vermutungen hören, bevor ich auflöse.

Tipp: Der BH ist meiner, und er klebt da nicht ganz freiwillig.

Tuesday, December 26, 2006

Fundstück I


Was ist hier wohl passiert?

(Auflösung dort)

Monday, December 25, 2006

Grußkartenterror

Weihnachten ist das Fest der Liebe, und Liebe muss man großzügig verteilen, damit möglichst viel davon zurück kommt. Das geschieht in der Generation unserer Eltern und Großeltern ganz traditionell per Grußkarte – handgeschrieben, im Idealfall. Es ist ein Phänomen: Man schickt sie nämlich nicht nur an Leute, die man mag, was ja vollkommen in Ordnung wäre. Man schickt sie auch an Leute, von denen man glaubt, sie würden es erwarten. Es ist eine Art gesellschaftliche Pflicht, man will sich ja nicht unbeliebt machen. Also grüßt man neben den drei besten Freunden und der Oma auch Tante Trude aus dem Westerwald, die man gar nicht leiden kann, den Großcousin, den man seit der Jahrtausendwende nicht gesehen hat, und den Vermieter, damit er einmal öfter verzeiht, dass keiner das Treppenhaus fegt.


Im U-30-Alter sind Grußkarten zum Glück absolut out. Doch kein Grund zur Erleichterung: Es gibt ja SMS. Ich bekam gestern ein paar davon: Geistreiche, mäßig interessante und unkreative; persönliche, persönlich wirkende und Massen-SMS. Alles Indikatoren der eigenen Stellung im sozialen Netz? Nicht, dass ich mich nicht gefreut hätte – aber ist das jetzt Höflichkeit, Zwang, oder wirklich ein ernst gemeinter, netter Gruß? Was ist mit den Leuten, die mir nicht schreiben, was zweifellos die Mehrzahl ist? Ist irgendwer angepisst, wenn ich mich nicht melde? Interessiert mich das alles überhaupt?


Meine Schwester hat ihr eigenes System. Sie verschickt wenige persönlich formulierte und viele Massen-SMS. Ich hab übrigens keine bekommen, fällt mir gerade auf, aber okay, ich hielt mich auch im selben Raum auf. Egal: Sie notierte sich, wer geantwortet hat. Begründung: „Die anderen bekommen beim nächsten Mal keine.“ So kann man es auch machen, aber andererseits: Lächerlich, Bekannte zu Freunden zu befördern und Freunde zu Bekannten zu degradieren, nur weil sie eine SMS tippen oder eben nicht. Ich hab niemandem geschrieben, ich habe nur geantwortet, falls jemand so tickt wie meine Schwester. SMS von mir gibt’s erst an Sylvester – falls mir danach ist.

Sunday, December 24, 2006

Besinnliche Weihnachten?

Frohe Weihnachten kann man wünschen, gern auch fröhliche, da das eher meiner Natur entspricht. Frohes Fest ist okay, schöne Feiertage auch und so weiter. Aber besinnliche Weihnachten? Worauf soll ich mich denn besinnen?


Da ich im Duden keinen vernünftigen, begriffserklärenden Eintrag zum Wort „besinnlich“ gefunden habe und mir die Lust fehlt, weitere Sekundärquellen heranzuziehen, mach ich mir die Herleitung jetzt selbst. Besinnlich kommt von besinnen, besinnen heißt so viel wie nachdenken, sich erinnern, vielleicht auch zur Ruhe kommen und die Sinne frei kriegen.


Nun – meine Sinne sind frei, und ruhig bin ich auch. Wenn schon nicht immer, dann zumindest nach drei Tagen Hardcore-Chillout in Oldenburg, was gar nicht so klein ist, wie ich dachte, aber äußerst kleinstädtisches Flair hat. Niedlich. Nachdenken tu ich ebenso grundsätzlich ungern, zumindest nachdenken um des Nachdenkens Willen find ich ganz gruselig. Das hat so einen ernsten Anstrich, das hat was von grübeln. Entweder ich denke, um eine Lösung zu finden, oder ich tagträume, und zwar grundsätzlich positiv. Aber das ist nicht besinnlich. Besinnliches Nachdenken liegt mir fern.


Erinnern könnte ich mich. Vielleicht daran, wie ich als Kind Weihnachten gefeiert habe: Gar nicht. Das hat mit der „Religion“ zu tun, die meine Großeltern auf meine Eltern vererbt hatten – und die bei diesen nun Gott sei Dank zum Glück dem Atheismus gewichen ist. Der gilt als viel weniger spaßfeindlich, damit kann ich mich anfreunden. Noch dazu mit dem ganzen darwinistischen Zeug, eine tolle Weltanschauung, wie ich finde. Aber das ist ne andere Geschichte. Zurück zu Weihnachten: Früher haben wir das nicht gefeiert. Von meinen Mitschülern wurde ich deshalb bemitleidet, aber ich kannte es nicht anders und hab es nie vermisst. Geschenke bekam ich zu anderen Anlässen. Klassische Weihnachtsgeschenke kenne ich deshalb erst seit einigen Jahren, und einen Baum gibt es bei uns immer noch nicht – statt dessen ein provisorisches Weihnachtsbananenbäumchen ohne Kugeln und Lametta.



Nichts desto Trotz freu ich mich darüber, Geschenke zu bekommen und zu machen. Aber nicht, weil Weihnachten ist und es sich so gehört. Sondern einfach so und weil ich vom engsten Familienkreis keine kitschigen Tonengel oder Socken oder Frauenromane geschenkt bekomme. Dieser Fakt trägt viel zu meiner positiven Einstellung bei und wird sich möglicherweise morgen wieder ändern, wenn Verwandschaftsbesuche anstehen. Nun ja, was solls.


Übrigens: Das kreativste Geschenk, was mir meine Eltern gemacht haben – beide treue Leser meines Blogs – war ein Friseurgutschein. Nicht irgendeiner, sondern ein Gutschein für genau den Salon, in dem der heißeste Typ der Welt arbeitet. Ja, ich geb es ungern zu, aber er ist auch noch Friseur.

Thursday, December 21, 2006

Liebes Publikum,

ich verabschiede mich in die Vorweihnachtspause. Ja, ich weiß, ich hab schon ein paar Tage nichts geschrieben, aber bevor ich endgültig abhaue, gibt’s zumindest ein Lebenszeichen. Nicht, dass ihr denkt, ich sei tot (An Zimtsternen erstickt? Mit einem Tannenzweig erschlagen? Tödlichen Hörsturz durch Weihnachtslieder erlitten?) Nein, ich habe vor, auch dieses Weihnachtsfest zu überleben.


Deshalb: Ihr hört nächste Woche wieder von mir, am Montag, soviel sei versprochen. Und wenn ich mir irgend einen Scheiß ausdenke, den keiner lesen will. Denn: Weihnachtsferien mach ich keine, nur Vorweihnachtsferien. Die beginnen morgen heute Nachmittag und enden am Heilig Morgen (Oder wie heißt der Morgen des Heilig Abend?) Und sie finden in Oldenburg statt. Ja, dieses Kaff in der Nähe von Bremen, ich war da auch noch nie, soll aber ganz nett sein. Ich stell es mir so ähnlich vor wie Mittweida. Nur ohne Ossis und Nazis.


Frohes Fest!

Saturday, December 16, 2006

Sandkastenfreund, verschollen.

D. kenne ich schon seit der Vorschule. Wir besuchten zwar nicht den selben Kindergarten, aber unsere Mütter kannten sich und hielten es für eine gute Idee, wenn auch wir uns kennen würden. Ich saß also im Wohnzimmer meiner Eltern neben ihm auf dem Sofa und überlegte, wer denn dieses fremde Kind reingelassen hatte. Ich war schüchtern damals, mit meinen fünf Jahren. Er auch. Andere Kinder hätten sich gegenseitig an den Haaren gezogen, um zu gucken, wer der Stärkere ist und dann gemeinsam die Bude verwüstet / den Nachbarn Klingelstreiche gespielt / Nutella an die Türklinken geschmiert. Wir nicht, wir saßen also da und wussten nichts zu sagen. Was war ich froh, als meine Mutter das Kaffeekräntzchen beendete.


Doch man gewöhnt sich an alles, und da D. im Umkreis von ein paar hundert Metern (ich bin ein Dorfkind) der einzige war, der sich so ziemlich genau in meinem Alter befand, später die gleiche Schule besuchte und mir an Seltsamkeit beinahe das Wasser reichen konnte, wurden wir gute Freunde. Mal führten wir auf der Schaukel im Garten meines Opas hochphilosophische Gespräche, mal ging er mir unglaublich auf die Nerven, mal ärgerten wir gegenseitig unsere Katzen (seine war furchtbar hässlich, so ein riesiger, langhaariger Stubentiger).


In der fünften Klasse haben wir uns in Musik nebeneinander gesetzt, weswegen uns eine Affäre nachgesagt wurde. Kinder können so grausam sein! Und da mir damals noch nicht egal war, was über mich erzählt wurde, versank ich in jeder Musikstunde im Boden und distanzierte mich außerhalb des Unterrichts von D., obwohl er ja eigentlich am wenigsten Schuld hatte. In der siebten Klasse war er plötzlich verschwunden und keiner wusste, wohin. Das fand ich doch ein wenig dreist. Handys gab es ja damals noch nicht, auf dem Land teilweise nicht mal Festnetztelefone. Trotzdem – konnte es sein, dass keiner den Hauch einer Ahnung hatte, wohin D. verschwunden war? Nicht die Lehrer, nicht seine Kumpels, nicht ich. Ich war sauer. Die einzig akzeptable Erklärung war, dass seine Mutter ihn in eine Kiste gepackt und erst im neuen Zuhause wieder rausgelassen hatte, so dass er selbst nicht wusste, wo er sich befand. Gerüchte gingen um, die Kiste wäre in Köln. Ich fand mich mit dem Verlust ab.


Jahre später begann mich dieses Trauma wieder heimzusuchen. Die unterdrückte Neugier klopfte an und fragte mich, was denn nun passiert sei. Irgendwann vertraute ich mich meiner Mutter an. Sie wusste auch nichts neues. Aber sie traf ein paar Monate später zufällig D.s Oma. Wie sich herausstellte, war er nicht in Köln, sondern wohnte noch immer in Chemnitz. Stolz wie Oskar überreichte meine Mutter mir den Zettel mit seiner Telefonnummer. Wir gingen einen Kaffee trinken, nicht ganz unverkrampft, ließen die letzten Jahre Revue passieren und sahen uns dann wieder monatelang nicht.


Das letzte Mal traf ich D. vor etwa einem halben Jahr, vielleicht ist es auch etwas länger her. Ich hätte ihn kaum erkannt. Er war mindestens einen halben Meter gewachsen, hatte offensichtlich einen sündhaft teuren Starfrisör aufgesucht und seinen Modegeschmack reformiert. Er studiert jetzt in München, sagte er. Biochemie. Und auch, wenn mir so etwas normalerweise nicht auffällt: Er war unverkennbar schwul.


Warum ich das erzähle? Bald ist Weihnachten, ich glaube, ich ruf mal wieder an.

Friday, December 15, 2006

Ausgestopfte Männer und der Jagdtrieb

Zu Beginn meiner pubertären Phase habe ich mir ein Jagdschema zugelegt. Ich dachte, das würde einiges vereinfachen und hielt es sowieso für eine gute Idee, die Welt in Stichworten zusammenzufassen. Ich bastelte mir also aus einigen Adjektiven meinen Traummann. Männer-Backrezepte waren damals in – vielleicht sind die auch zeitlos – aber die sind hausgemachter Schwachsinn und backen konnte ich eh nicht, da hatte ich wirklich besseres zu tun. Ich beschränkte mich also auf ein verbales, theoretisches Konzept, das ausschließlich meiner eigenen Belustigung dienen sollte. Grundlage waren übrigens die zahlreichen Typen, in die ich zwischen meinem elften und dreizehnten Lebensjahr heimlich verknallt gewesen war. Blondes, kurzes Haar war meine eindeutige Präferenz, ein süßes Lächeln sollte er haben und nicht zu groß sein, aber natürlich ein Stückchen größer als ich. Und er sollte viel Zeit für mich haben, denn ich hatte damals nicht viele Hobbies. Soweit meine bescheidenen Ansprüche. Der erste Freund erfüllte sie. Der zweite schon nicht mehr. Deshalb habe ich mein Jagdschema umgehend abgeschafft.


Seitdem bin ich auf der Suche nach dem heiligen Gral. Meistens mit dem Ergebnis, dass es keinen gibt, gefolgt von der Erkenntnis, dass das aber auch nicht schlimm ist – schließlich mag ich Abwechslung. Und freue mich, ähnlich wie Denise, wenn ich am Ende eines Tages sozusagen einen Bilanzstrich ziehen kann und sagen: Aha, so ist das also, wieder was gelernt. Wieder ein Klischee zerstört, wieder ein neues erschaffen.


Mein Lieblingsklischee ist der wahrscheinlich bestaussehendste Typ der Welt. Er kommt aus meinem Heimatdorf, spielt dort im Fußballverein und gehört zu jener Gattung Mann, die man am liebsten erschießen, ausstopfen und ins Schlafzimmer stellen will. Denn dort kann man sie jederzeit anschmachten, und es stört auch keinen, wenn man dabei sabbert (außer vielleicht den Kerl, mit dem man das Schlafzimmer teilt). Ich traf ihn hin und wieder zufällig auf Partys, und er jubelte mir auf sehr charmante Weise seine Telefonnummer unter. Die ich niemals anrief, auch wenn ich mich in einsamen Stunden dafür ausgiebig selbst beschimpft habe. Denn er hatte einen Fehler: Er war dumm. Geschätzter IQ von 12 – Knäckebrot hat 13. Ich konnte kaum zwei Sätze mit ihm wechseln. Okay, erschießen und an die Wand hängen hätte auch das geklärt, aber ich bin ja kein Schwein. Deshalb hab ich mich lieber aufs Fluchen beschränkt, mich als was besseres gefühlt und dann ob meiner Arroganz geschämt, aber nur kurz. Womöglich ist er Schuld, dass ich mich nur noch mit Typen treffe, die sowas ähnliches wie Abitur haben.


Nun ja, jetzt hab ich mich verzettelt, eigentlich wollte ich etwas über den Jagdinstinkt schreiben. Damit meine ich die seltsame Anziehungskraft, die ein komplizierter und rätselhafter Typ auf mich ausüben kann. Vermutlich liegt das daran, dass Frauen besonders jene Dinge wollen, von denen man ihnen suggeriert, sie könnten sie nicht haben. Bei denen man mal schnuppern darf – aber danach wird das Objekt der Begierde wieder einpackt, zurück in den Schrank gestellt und so getan, als wär nichts gewesen. Was soll man da machen? Hartnäckig bleiben? Sabine hat mir davon abgeraten. Sie hat mir eine ausgeprägte, nahezu selbstzerstörerische Leidenschaft für Machtspielchen vorgeworfen. Ich finde, sie übertreibt. Außerdem kann ich nichts dafür: Ich kauf ja auch keine Sonderangebote. Ist diese Analogie zu wirr? Pech gehabt.

Sunday, December 10, 2006

Beichte einer Schandtat

Mittweida hat nur einen einzigen Studentenclub. Der ist klein, hat keine Garderobe und Toiletten, die nicht unbedingt das Herz erfreuen. Aber: Der Club befindet sich nur zehn Meter entfernt von jenem Unigebäude, in dem der Fachbereich Medien haust. Mein Fachbereich. Ich habe also das Privileg, dieses Gebäude auch nachts zu betreten. Ein Privileg in Form einer Zugangskarte, das ich regelmäßig nutze, um meine Jacke rauchfrei und sicher aufzuhängen und blitzblanke Toiletten zu benutzen. So auch an jenem Tag, vor einigen Wochen. Ich tänzelte in das Gebäude, grüßte freundlich die Putzfrau, ging den Flur entlang, Richtung Toiletten. Beim Rausgehen blieb mein Blick an einer Mineralwasserflasche hängen. Die stand herrenlos auf der Heizung. Fein, dachte ich mir. Alkohol dehydriert, Wasser hydriert. Die Kombination gleicht sich aus. Also, wer auch immer die da hin gestellt hat, wollte mich vor einem Kater bewahren. Dieser Gedankengang lief natürlich im Bruchteil einer Sekunde ab, eigentlich dachte ich gar nichts, sondern trank einfach einen Schluck und ging zurück in den Club. Beim nächsten Ausflug stand die Flasche immer noch, der Griff dazu schon Routine. Beim dritten Mal dann Ärger mit der Putzfrau: „Ähm... Entschuldigen Sie, die gehört mir!“ Was habe ich mich geschämt. Ich schäme mich selten, aber unterbezahlten Dienstleistungskräften die Grundnahrungsmittel zu stehlen, ist harter Tobak. Ich lallte eine Entschuldigung. Ich bot an, eine neue Flasche zu besorgen, eine volle selbstverständlich. Dafür wäre ich bis nach Hause gelaufen, kein Problem, aber die Putze versicherte mir, das sei nicht nötig. Sie wollte mich los werden, mich dreiste Diebin. Ich hab mich wirklich geschämt.


Öffentlich erzählen kann ich das erst jetzt, wo mein Vergehen gerächt wurde. Am Samstag war ich arbeiten – Kunden zählen im besagten Einkaufszentrum. Ein netter Türke hatte Mitleid mit mir und brachte eine Flasche Saft vorbei, die ich für alle Fälle an meinem Standort abstellte. Und während der Pausen da stehen lies. Zweimal ging es gut, beim dritten Mal war sie weg. Und mein Kollege hatte angeblich nichts gesehen. Fairness siegt?

Friday, December 08, 2006

Hängt ihn! Hängt ihn!

"Wer Computerspiele, die es den Spielern als Haupt- oder Nebenzweck ermöglichen, eine grausame oder die Menschenwürde verletzende Gewalttätigkeit gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen auszuüben, verbreitet, [...] herstellt, bezieht, liefert [...], wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft." (Quelle: Spiegel Online)


Der gemeine Killerspieler gehört weggesperrt! Man sieht ja, wo das hinführt. Ist unsere Welt nicht schlecht genug? Jawoll, Herr Beckstein, Sie sind auf dem richtigen Weg. Prävention ist alles, was diesen Staat noch retten kann. Terroristen waren gestern, heute sind Killerspieler. Diese pickeligen und sozial unterernährten Daddeler bringen Deutschland in ernsthafte Gefahr.

Liebe Killerspieler, ihr wisst, dass ihr der Gesellschaft irgendwann schaden werdet. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich der Schalter in eurem Kopf umlegt und ihr daraufhin eure ganze Schule. Ihr könnt nicht mehr zwischen Realität und Fiktion unterscheiden, schnappt euch statt dem Joystick die MG und ballert einfach drauf los, wie zuvor tausendmal geübt.

Schützt die Welt vor euch. Stellt euch selbst an den Pranger. Lasst euch präventiv einbuchten. Schickt Herrn Beckstein diesen Brief.

Friday, December 01, 2006

„Frau Reichert, Sie kochen jetzt Kakao!“

Der ich-war-jung-und-brauchte-das-Geld-deluxe-Post

Mieseste Nebenjobs bisher:
  • Zeitungen austragen (Hungerlohn und immer ranklotzen, egal, ob's stürmt, schneit oder 35 Grad im Schatten hat)
  • Verkäuferin auf dem Weihnachtsmarkt (bitterkalt und nach ein paar Tagen muss man diese gruselige Weihnachtsmusik zwanghaft mitsingen)
  • Telefonistin in einem unseriösen Callcenter (armen Leuten überteuerten Wein andrehen ist etwas, das ich zutiefst verabscheue. Nach drei Wochen hab ich geschmissen)
  • Kunden zählen in einem großen Einkaufscenter in Chemnitz (man steht sich die Beine in den Bauch und drückt ab und zu auf eine Zähluhr. Ähnlich wie in der Axe-Werbung, nur unglaublich öde)


Beste Nebenjobs bisher:

  • Interviews führen für die GfK
  • Supervisor im Mittweidaer Call Center
  • Mathenachhilfe geben
  • Schreiben, schreiben, schreiben – sofern ich mal dafür bezahlt werde. Kommt aber auch vor.


Nicht schlecht ist auch der Job, den ich seit vier Jahren immer kurz vor Weihnachten mache – so auch gestern, heute und morgen wieder. Im besagtem Einkaufscenter, in dem ich hin und wieder die Gäste zähle – nennen wir es Sachsen-Allee – darf ich die Kunden befragen. „Warum sind Sie heute hier?“ „Gefällt Ihnen das Modeangebot?“ „Kennen Sie unsere Centerzeitung?“ und so weiter. Dazu immer nett lächeln und repräsentativ aussehen. Da gibt es wirklich schlimmeres. Auffällig am heutigen Tage war, dass die Leute mich zumeist mit zwei Themen konfrontierten: Stolze Omas und Väter prahlten, dass ihr Kind bzw. Enkel heute mit der Kindergartengruppe da ist, um Weihnachtsbäume zu schmücken. Interessierte Bürger sprachen mich auf den Wechsel in der Chefetage an. Ich nickte und lächte fleißig, erklärte, wie toll das sei und wie recht sie hätten – unwissend, dass diese beiden Ereignisse meinen Job am heutigen Tage beeinflussen sollten.


Kurz vor 14 Uhr, ich machte grad Pause (Was ich an dem Job am liebsten mag: Man kann sich die Pausenzeiten frei einteilen. Man muss halt nur genug Fragebögen fertig bekommen) stellt sich plötzlich eine gewisse Geschäftigkeit in den Managementbüros ein. Leute in Anzügen und mit fremden Dialekten kommen mit Blumen vorbei und drängen in Richtung Konferenzraum – die High Society von Chemnitz, wie ich später erfahren sollte, sowie so ziemlich alle ranghohen Mitarbeiter des Einkaufscenters. Abschiedsparty für den Chef. Als ich mich von dem steigenden Geräuschpegel gerade vertreiben lassen wollte, kommt die gestresste Sekretärin auf mich zu: „Frau Reichert, wie viele Fragebögen haben Sie schon? Okay, dann können Sie da hinten erst mal für 'ne Stunde mithelfen. Sie wissen schon, den Leuten die Getränke nachschenken, Geschirr abräumen und so weiter.“ War das jetzt die Beförderung zur Chefkellnerin oder miese Aushilfenausbeute? Egal – ich bin dabei, bringt Abwechslung. So stelle ich also Blumen in Vasen, öffne Sektflaschen, wasche Gläser ab, räume Teller in die Spülmaschine. Als plötzlich eine andere Aushilfe die Küche betritt. Die, die sich um die weihnachtsbaumschmückenden Kinder kümmert. Die neue Kekse abholen will und neuen Kakao. Letzterer wurde im ganzen Abschiedsparty-Stress natürlich vergessen. Und deshalb hat Frau Reichert Kakao gekocht.


Übrigens zieht jetzt eine Frau in die Chefetage der Sachsen-Allee ein – Frau Kirschbaum. Kompetent wirkt sie trotzdem.