Saturday, December 16, 2006

Sandkastenfreund, verschollen.

D. kenne ich schon seit der Vorschule. Wir besuchten zwar nicht den selben Kindergarten, aber unsere Mütter kannten sich und hielten es für eine gute Idee, wenn auch wir uns kennen würden. Ich saß also im Wohnzimmer meiner Eltern neben ihm auf dem Sofa und überlegte, wer denn dieses fremde Kind reingelassen hatte. Ich war schüchtern damals, mit meinen fünf Jahren. Er auch. Andere Kinder hätten sich gegenseitig an den Haaren gezogen, um zu gucken, wer der Stärkere ist und dann gemeinsam die Bude verwüstet / den Nachbarn Klingelstreiche gespielt / Nutella an die Türklinken geschmiert. Wir nicht, wir saßen also da und wussten nichts zu sagen. Was war ich froh, als meine Mutter das Kaffeekräntzchen beendete.


Doch man gewöhnt sich an alles, und da D. im Umkreis von ein paar hundert Metern (ich bin ein Dorfkind) der einzige war, der sich so ziemlich genau in meinem Alter befand, später die gleiche Schule besuchte und mir an Seltsamkeit beinahe das Wasser reichen konnte, wurden wir gute Freunde. Mal führten wir auf der Schaukel im Garten meines Opas hochphilosophische Gespräche, mal ging er mir unglaublich auf die Nerven, mal ärgerten wir gegenseitig unsere Katzen (seine war furchtbar hässlich, so ein riesiger, langhaariger Stubentiger).


In der fünften Klasse haben wir uns in Musik nebeneinander gesetzt, weswegen uns eine Affäre nachgesagt wurde. Kinder können so grausam sein! Und da mir damals noch nicht egal war, was über mich erzählt wurde, versank ich in jeder Musikstunde im Boden und distanzierte mich außerhalb des Unterrichts von D., obwohl er ja eigentlich am wenigsten Schuld hatte. In der siebten Klasse war er plötzlich verschwunden und keiner wusste, wohin. Das fand ich doch ein wenig dreist. Handys gab es ja damals noch nicht, auf dem Land teilweise nicht mal Festnetztelefone. Trotzdem – konnte es sein, dass keiner den Hauch einer Ahnung hatte, wohin D. verschwunden war? Nicht die Lehrer, nicht seine Kumpels, nicht ich. Ich war sauer. Die einzig akzeptable Erklärung war, dass seine Mutter ihn in eine Kiste gepackt und erst im neuen Zuhause wieder rausgelassen hatte, so dass er selbst nicht wusste, wo er sich befand. Gerüchte gingen um, die Kiste wäre in Köln. Ich fand mich mit dem Verlust ab.


Jahre später begann mich dieses Trauma wieder heimzusuchen. Die unterdrückte Neugier klopfte an und fragte mich, was denn nun passiert sei. Irgendwann vertraute ich mich meiner Mutter an. Sie wusste auch nichts neues. Aber sie traf ein paar Monate später zufällig D.s Oma. Wie sich herausstellte, war er nicht in Köln, sondern wohnte noch immer in Chemnitz. Stolz wie Oskar überreichte meine Mutter mir den Zettel mit seiner Telefonnummer. Wir gingen einen Kaffee trinken, nicht ganz unverkrampft, ließen die letzten Jahre Revue passieren und sahen uns dann wieder monatelang nicht.


Das letzte Mal traf ich D. vor etwa einem halben Jahr, vielleicht ist es auch etwas länger her. Ich hätte ihn kaum erkannt. Er war mindestens einen halben Meter gewachsen, hatte offensichtlich einen sündhaft teuren Starfrisör aufgesucht und seinen Modegeschmack reformiert. Er studiert jetzt in München, sagte er. Biochemie. Und auch, wenn mir so etwas normalerweise nicht auffällt: Er war unverkennbar schwul.


Warum ich das erzähle? Bald ist Weihnachten, ich glaube, ich ruf mal wieder an.

2 comments:

Anonymous said...

Hey Susi!
Rufst du mich auch mal wieder an, obwohl ich verschollen bin? (oder ich ruf an, egal!)
Ich hab ab Donnerstag frei, nachdem am Mittwoch nochmal eine kleine Weihnachtsparty im Biergarten angesetzt ist, mit Karlis und den anderen Irren!
Wäre doch schade, wenn sich da nicht nochmal die Gelegenheit für einen kleinen vorweihnachtlichen Neuigkeitenaustausch bieten würde!
Ciao, bis demnächst!
Bine.

Susi said...

Aber klar... sie haben schon eine Email zwecks zeitlicher Abstimmung! :)